Kindermann und Sigmund von Birken


Die vorliegende Vertonung des Psalmwortes „Befiehl dem Herren deine Wege“ hat Kindermann seinem „sehr werthen Freunde“ Sigmund von Birken gewidmet. Die Handschrift aus dem Jahr 1654 ist wie zwei weitere eigenhändige Schreiben Kindermanns aus dem Jahr 1655 im Besitz des „Pegnesischen Blumenordens“ und wird im Archiv des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg verwahrt und verwaltet (PBlO Signaturen C 169 und C 169.1) Es handelt sich dabei um einen Brief Kindermanns an Sigmund von Birken (Betulius) und um einen dazugehörigen Text. Diese schriftlichen Zeugnisse aus den letzten Lebenswochen Kindermanns zeichnen ein sehr bedrückendes Bild von der Lebenssituation des neununddreißigjährigen Komponisten.

 

"....Lieber Herr Betulius. Der Herr weis selbst meinen Kranken Zustand, und wie ich schon längst mit dem Herrn abgeredt, daß ich ein hertzliches verlangen trage, noch bey meinem leben, Mein Grablied von des Herrn seiner schönen und Christlichen Poesi in eine musicalische Composition zu bringen, und weilen mein kranker Zustandt ie länger ie ärger wird, und Gott der Allmächtige mich unverhofft, durch einen Seeligen todt, mein sehnliches verlangen stillen möchte, habe ich mich gestern übergesetzt, das was mir meine Andacht, und Gottliche gnade gegeben zu Papier gebracht, und meine gedancken damit am tag geben wollen, wie mein künfftiges Grablied, solle gemacht werden. Also bitte Meinen höchstgeehrten lieben Herrn Betulium ich demütigst, Er wolle mir auch den gefallen erweisen, mit seiner guten Zeit und gelegenheit, mir auff das beygelegte Schreiben ein Grablied machen, von 12. oder mehr gesetz, und was es auff die Melodey des schönen Gesangs: Was mein Gott will das gscheh allzeit: oder : wenn mein stündlein vorhanden ist: könte gesetzt werden, wer es mir sehr lieb. Der Herr erweise mir in diesem stück noch den letzten willen, Gott wird vergelder sein, ich aber will es auch mit danck wieder erkennen, daß der Herr mit mir zufrieden sein wird. Sonsten bin ich auch entschlossen nechsten 8. tagen ein epitaphium auff meinen grabstein machen zu lassen, und weilen unten noch ein Spacium vorhanden, da ich könte 4. Zeil noch hinein machen lassen, wollte ich den herrn freundlich gebetten haben, mir etwas wenigs teutsches auffzusetzen, und was es auff die art sein könte, daß mein Nahm mit heraußkäm, und der himmlischen Music etwas gedacht würde, were es mir sehr lieb. Stehet alles zu deß herrn seinen belieben ohne Maaßgebung, das grablied wolle der Herr nur seiner guten Zeit nach, mit lust, under die hand nehmen, und verfertigen, ich will geliebts Gott an meiner composition auch keinen fleiß nit sparen.

 

Die originale Vorlage besteht aus einem sorgfältig geschriebenen Titelblatt und ebenso sauber und fehlerlos erstellten Blättern für die einzelnen Stimmen „Violino primo“, „Violino secondo“, „Canto primo“, „Canto sc.“, „Basso“ und „Basso Continuo“.

 

In dem beiliegenden, recht umfangreichen Text liefert Kindermann die Prosavorlage für das erbetene Grablied. Er wendet sich dabei in persönlicher Anrede an seine verstorbene Frau Susanna und bringt seinen persönlichen Jammer, seine Todessehnsucht und seine tiefgläubige Hoffnung auf die himmlischen Freuden zum Ausdruck. Im Mittelpunkt steht dabei die rechte "himmlische und Engelische Music". Die Orgel, der Wind, das Pedal und die verschiedensten Register werden dabei visionär als Allegorie für die himmlische Harmonie beschrieben, der sich Kindermann bereits sehr nahe fühlt.

 

Joh. Eraßmus Kindermann empfängt sein Seelig verstorbenes hertzgeliebtes weib und Kinderlein mit folgenden Inhalt. Es ist kein wunder, hertzallerliebste Susanna, mein höchst vertrauter Schatz, daß ich (wie billig) seit deinem Seeligen Todt, neben denen von Gott voran geschickten Kindern und Zwilling, einen schmertzbekümmerten, betrübten und erbärmlichen Wittbenstand geführet habe, dahero ich mir viel tausendmal gewünschet und gesöhnet, dem Leibe und der Seele nach bey dir in unzertrennter Liebe zu sein. Nun, dem Allerhöchsten dreyeinigen Gott sey unauffhörlichen danck gesagt, Es ist auch dazu kommen, der Seelen nach bin, leb und schweb ich itzt, mit dir und allen Christ gläubigen in höchster Lang erwünschter Freud und Seeligkeit, da uns und alle (die auff das theure Blut und Tod Jesu Christi standhafft gestorben und abgeschieden sein) keinn qual mehr rühret, itzt itzt bin ich bey der rechten Himmlischen und Engelischen Music, welche voller Göttlicher Harmoni ist, und mit vollem Chor das drey mahl Heilig vor Gottes Heyligem angesicht musiciren, hier hier ist ein recht gantz perfectes Orgelwerck. Gott der Vatter ist des gantzen Chori Musici Capellmeister oder führer ... (Der gesamte Text ist auch veröffentlicht in: Thomas Schlage - "Die Vokalmusik Johann Erasmus Kindermanns" - Neckargemünd 2000)