"Cantiones Pathetikai" - Johann Erasmus Kindermann

Die „Cantiones Pathetikai“ sind das erste Werk, das Johann Erasmus Kindermann veröffentlicht hat. Erschienen ist es im Jahr 1639, Kindermann war zu diesem Zeitpunkt ein junger Mann im Alter von 23 Jahren und seit etwa drei Jahren an der Frauenkirche in Nürnberg als Organist tätig. Den etwas ungewohnten lateinisch-griechischen Titel "Cantiones Pathetikai" erläutert der Komponist im lateinischen Untertitel: "h. e. Ad memoriam PASSIONIS Domini nostri JESU CHRISTI, DEI & HOMINIS repraesentandam, Ternis & quaternis Vocibus, etiam cum Basso Continuo." Es handelt sich also um Passionsgesänge, die dazu beitragen sollen, das Leiden Jesu Christi nahezubringen, es zu vergegenwärtigen.

Kindermann vertont zu diesem Zwecke vier lateinische Texte, die alle auf vorreformatorischen liturgischen Brauch der Karwoche zurückgehen und offensichtlich in der Mitte des 17. Jahrhunderts im lutherischen Nürnberg noch gepflegt wurden. Am Anfang stehen die Einsetzungsworte Jesu zum Abendmahl ("Dominus noster Jesus Christus"), die Kindermann mit geringen Veränderungen 1643 auch in seine „Musica catechetica“ übernommen hat. Die Art der Vertonung orientiert sich am Modell des im 17. Jahrhundert gerne verwendeten musikalischen Dialogs, wobei hier die Christusworte in der Zwiesprache mit dem Evangelisten stehen. Das „Tenebrae factae sunt" ist in den „Cantiones Pathetikai“ zweimal vertreten. Der Text verdichtet Passagen der Passionsberichte in den verschiedenen Evangelien in einer sehr eindrucksvollen Weise. Mit den beiden höchst unterschiedlichen Vertonungen scheint Kindermann zeigen zu wollen, was er bei seinem verehrten Lehrer Johann Staden und Italien gelernt hat: Einerseits die moderne Form des geistlichen Konzerts mehrerer konzertierender Stimmen mit Generalbassbegleitung und andererseits die alte strenge „Prima Prattica“ (Monteverdi), die einen gregorianischen Choral kontrapunktisch auszugestalten versteht. Der strenge Hinweis „Sine Baßo Continuo“ erinnert dabei sehr stark an Johann Staden, der trotz aller Aufgeschlossenheit gegenüber der damals neuen Musik aus Italien der Überzeugung war, dass der Generalbass nicht immer notwendig sei. Der vielfach (z.B. auch von Monteverdi) vertonte Text "O vos omnes, qui transitis per viam", der auf alttestamentliche Textpassagen zurückgreift, um das Leiden Jesu höchst dramatisch zum Ausdruck zu bringen, ist wohl eine besondere Herausforderung an einen angehenden Komponisten, der sich Kindermann unerschrocken gestellt hat. Das intensive Bemühen um Textausdeutung zeigt sich in der Melodik wie in der Harmonik, wo der junge Künstler z.T. beachtlich kühne Schritte wagt. Dies gilt auch für das "O amantissime Jesu", dem ein ebenfalls sehr emotionaler liturgischer Text zugrunde liegt. Der Vertonung dieses Textes wird eine kleine eindrucksvolle und harmonisch spannungsgeladene Sinfonia vorausgestellt. Die drei Singstimmen deklamieren danach den empathiegeladenen alten Text in ausschwingenden Melodiebögen, um abschließend in einer eher homophon angelegten Doxologie auszuklingen.