Kindermann und Dilherr - Dialog


Eine außergewöhnliche, vielleicht teilweise sogar legendäre Persönlichkeit war der 1604 in Themar bei Hildburghausen geborene Theologe Johann Michael Dilherr. Er kam 1642 nach Nürnberg und war hier in verschiedenen Funktionen tätig, vor allem als Hauptprediger an der Sebalduskirche. Er scheint ein mitreißender Redner gewesen zu sein, hinterließ zahlreiche Schriften und hat als Prediger, Lehrer und Literat offenbar einen großen Einfluss in der Stadt ausgeübt. Seine religiösen Erbauungsschriften fanden weite Verbreitung, insbesondere seine „Göttliche Liebesflamme" mit Betrachtungen und Gedichten zum „Hohenlied“ Salomos. Mit den Dichtern des „Pegnesischen Blumenordens“ stand er in enger Verbindung und schuf auch selbst zahlreiche Gedichte, die Kindermann als Textvorlage für seine Kompositionen verwendet hat. Vielleicht standen Dilherr und Kindermann in engerem Kontakt, möglicherweise bestand sogar eine gewisse persönliche Vertrautheit, da Dilherr Taufpate bei einem von Kindermanns Kindern war. Seine theologischen Überzeugungen, für die er vehement eintrat und die in seinen Texten erkennbar werden, lassen ihn als Vertreter einer Glaubensrichtung erscheinen, die zwar von der lutherischen Orthodoxie geprägt ist, allerdings stark die individuelle Frömmigkeit betont und damit Akzente setzt, die den späteren Pietismus wesentlich prägen. Es überrascht nicht, dass der Text des vorliegenden Werkes aus der Feder von Johann Michael Dilherr stammt. Er hat ihn aus der Bibel „zusammengezogen“ und mit eigenen Versen so durchsetzt, dass dabei ein Dialog zwischen „Christus“ und „Peccator“ (Sünder) entstanden ist, der mit einem 7-stimmigen missionarischen Freudengesang abgeschlossen wird.

 

Der Dialog war in der Mitte des 17. Jahrhunderts im Bereich der evangelischen Kirchenmusik eine von vielen Textdichtern und Komponisten (Staden, Schütz, Hammerschmidt, Briegel u.v.a) verwendete Form. Sie dürfte vor allem deswegen geschätzt worden sein, weil sie es ermöglichte, biblische Texte zu personifizieren, zu dramatisieren und so dem Kirchenvolk eindrucksvoll darzubieten. Konzertierende Sing- und Instrumentalstimmen mit Generalbassbegleitung waren hierfür gängige Mittel, wobei eine "Symphonia" als instrumentale Einleitung und ein abschließender vielstimmiger Tuttiteil (als Überhöhung) einen Spannungsbogen aufbauen und eine wirkungsvolle Abrundung schaffen konnte. In den Gottesdiensten, auch in Nürnberg, waren die Dialoge daher durchaus geschätzt. „Des Erlösers Christi und sündigen Menschens heilsames Gespräch“ von Johann Erasmus Kindermann ist daher als ein für seine Entstehungszeit typisches Werk der Kirchenmusik anzusehen, das darüber hinaus Einblicke ermöglicht in das gottesdienstliche und kulturelle Leben in der Reichsstadt Nürnberg.